Die „12 Apostel“ des Klavierbaus in England im 18. Jahrhundert
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war London, neben Wien und Paris, eines der großen Zentren der Musikkultur und des Instrumentenbaus. Eine fast unüberschaubare Anzahl von Klavierbauern ließ sich dort nieder und fertigte Instrumente für die stetig steigende Nachfrage. Wie auch heute noch war die Stadt eine riesige Mischung sämtlicher Kulturen und Nationalitäten. Besonders viele Immigranten vom europäischen Kontinent versuchten ihr Glück in der großen Metropole zu finden. Politische Veränderungen, die Hoffnung auf ein neues und besseres Leben und nicht zuletzt vielleicht auch das Bedürfnis ein Wagnis einzugehen, sich an einem anderen Ort niederzulassen, waren häufig die Beweggründe der Menschen, sich dort niederzulassen. Ebenso war London wegen seines Wohlstandes, der Gildenfreiheit und der Lizenzfreiheit bei Gründung eines eigenen Geschäfts attraktiv.
In der Literatur über Instrumentenbaugeschichte finden sich in vielen Quellen immer wieder die so genannten „12 Apostel“ des Klavierbaus in England. Wie kam es zu diesem Beinamen und wer waren diese Instrumentenbauer?
Die erste Erwähnung der „12 Apostel“ tätigte 1860 Edward F. Rimbault in seinem Buch „The Pianoforte – it’s Origins, Progress and Construction“. Dort heißt es:
„At length, about the year 1760, many ingenious German mechanics left their country and came to England in search of employment as pianoforte-makers; this gave the instrument its first impetus. A party of twelve travelled hither in one company, and obtained, from this circumstance, the appellation of the ‘twelve apostles’”.
Viele weitere Autoren übernahmen diese Behauptung und so setze sich auch bei namenhaften Wissenschaftlern diese Geschichte fort (beispielsweise bei R. Harding, M. Clinkscale, H. Henkel und vielen weiteren Autoren). So sollen es ausschließlich Immigranten aus Deutschland gewesen sein, die während der 1760er Jahre Deutschland verließen und nach England auswanderten. Als Hauptgrund wird der Siebenjährige Krieg angeführt. Allerdings ist diese von Edward Rimbault geschaffene Geschichte so nicht haltbar, besonders wenn wir einen Blick auf die Anzahl der immigrierten Instrumentenbauer werfen wollen.
Ein Fakt ist jedoch der Siebenjährige Krieg und die dadurch entstandenen katastrophalen Bedingungen für die Bevölkerung. Dieser Krieg begann 1756 und endete im Februar 1763 mit den Friedensverträgen von Paris und Hubertusburg. Alle damaligen Großmächte waren in den Krieg involviert. Bei allen beteiligten Kriegsparteien gab es verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung. Viele Soldaten starben im Krieg, die Bevölkerung wurde dezimiert (besonders in den Regionen Sachsen und Pommern), es kam zu Plünderungen, starker Armut und Zwangsrekrutierungen. Die gesamte Bevölkerung war stark traumatisiert und viele sahen keine Perspektive in ihrer Heimat mehr und wanderten aus.
Werfen wir aber nun einen Blick auf diese angeblichen zwölf Instrumentenbauer. Wenn wir dem Kriterium von Rimbault folgen, waren folgende Instrumentenbauer aus Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts nach England immigriert und in London aktiv:
- Jacobus (James) Ball (ca. 1770 – 1828)
- Gabriel Gottlieb Buntebart (ca. 1768 – 1795)
- George Fröschle (Froeschle) (ca. 1776 – 1800)
- Christopher Ganer (ca. 1774 – 1811)
- John Geib (ca 1777 – 1797)
- Ludwig Augustus Leukfeld (um 1790)
- Friedrich (Frederick) Neubauer (um 1765/70)
- Johannes (John) Pohlmann (Pohlman) (1767 – 1792)
- Frederick and Christian Schön (Schoene) (ca. 1780 – ca. 1805)
- John Henry Schrader (ca.1768 – 1802)
- Johann (John) Zumpe (ca. 1765 – 1782)
Adam Beyer und Frederick Beck, welche häufig zu dieser Liste gezählt wurden, stammten jedoch nicht ursprünglich aus Deutschland. (vgl. dazu Michael Cole)
Eva Badura-Skoda führte 2004 in einem Artikel des „Galpin Society Journals“ die These an, dass der Titel „12 Apostel“ von Burkat Shudi’s (1702 – 1773) jüngster Tochter, Barbara (1749 – 1776) her stammen könnte, die später John Broadwood (1732 – 1812) heiratete. Barbara (durch ihr familiäres Umfeld selbst deutsch sprechend) könnte diesen Beinamen geprägt haben, als häufig neue Arbeiter aus Deutschland in der Firma ihres Vaters (und später ihres Ehemannes John Broadwood) arbeiteten.
Im Laufe der Zeit wurde die Geschichte der „12 Apostel“ immer wieder aufgegriffen und von vielen weiteren Autoren übernommen oder auch abgeändert. Jeder Autor hatte für die Zusammenstellung teils andere Kriterien. So finden sich teilweise folgende weitere Instrumentenbauer in diesem Kreis:
- Americus Bakers (ca. 1763 – 1778)
- Frederick Beck (ca. 1772 – 1798)
- Adam Beyer (ca. 1774 – 1804)
- George Garcka (ca. 1778 – 1795)
- Meincke Meyer (1779 – 1836)
- Christoph Julius Ludwig Sievers (1783 – 1793)
- John Joseph Merlin (ca. 1770 – 1803)
Unabhängig dazu ist die Forschung noch sehr unvollständig und immer wieder tauchen auch Instrumente auf, deren Erbauer bisher noch keine Erwähnung gefunden haben. Diese werden dann manchmal fälschlicherweise dieser Gruppe zugeordnet. Abschließend kann man jedoch sagen, dass der Terminus der „12 Apostel“ in der Musikgeschichte sich sehr unkonkret durch die Literatur zieht und häufig keinen genauen Kriterien unterliegt. Er wurde teils unreflektiert übernommen oder beliebig erweitert. Aber unabhängig davon kreierte Edward F. Rimbault 1860 mit „seinen“ „12 Apostel“ eine Geschichte, die sich bis heute gehalten hat und die viele Generationen von Musikwissenschaftlern nachhaltig beeinflusste.
Quellen:
- Badura-Skoda, E.: ‘The Piano Maker Adam Beyer, a German by Birth’, in The Galpin Society Journal, Vol. 57 (London: The Galpin Society, 2004).
- Cole, M.: ‘The Twelve Apostles?’ In The Southeastern and Midwestern Historical Keyboard Society Journal, Vol. 18 (2000).
- Dale, W.: Tschudi the Harpsichord Maker. London: Constable & Company (1913).
- Debenham, M. & Cole, M.: ‘Pioneer Piano Makers in London, 1737–74: Newly Discovered Documentary Sources.’ In Royal Musical Association Research Chronicle, Vol. 44, No. 1, (2013).
- Dow, W.: Finchcocks Collection: Catalogue. The Richard Burnett Collection of Historical Keyboard Instruments. Goudhurst, Kent: Finchcocks (1989).
- Harding R. E. M.: The Pianoforte ― its history traced to the Great Industrial Exhibition of 1851 (Gresham Books 1978)
- Lancaster, G.: The first fleet piano, Australian National University Press (2015).
- de Place, A.: Le Piano-forte à Paris entre 1760 et 1822 [The Pianoforte in Paris between 1760 and 1822]. Paris: Aux Amateurs de livres (1986).
- Rimbault, E.: The Pianoforte – It’s Origins, Progress and Construction, London: Robert Cocks (1860).
© Eric Feller – Early Keyboard Collection – Dezember 2018